Pro-palästinische Proteste | sv 00:34 Min. Verfügbar bis 04.05.2026

Proteste an den Universitäten: Kritik an Israel oder Antisemitismus?

Stand: 04.05.2024, 20:20 Uhr

An westlichen Universitäten häufen sich pro-palästinensische Proteste, in diesen Tagen gab es sie auch in Berlin und Köln. Ist das noch Kritik an der israelischen Regierung - oder haben deutsche Unis ein Antisemitismus-Problem?

Von Catharina Coblenz

Es ist ein Miniprotest auf dem Campus der Universität zu Köln. Einige wenige Menschen haben dort am Samstag vier Zelte aufgeschlagen. An den Zelten sind palästinensische Fahnen angebracht, auf Schildern steht geschrieben "Free Palestine" und "Kids are terrorists now?". Die Polizei beobachtet die Lage, sah aber bislang keinen Grund einzugreifen.

Pro-palästinische Demo in Berlin | Bildquelle: ddp/abaca press / WDR

Auch an der Humbold Universität in Berlin kam es Freitagmittag zu Protesten. Etwa 150 junge Menschen hatten sich im Ehrenhof des Campus Mitte zu einem nicht angemeldeten Sitzstreik versammelt. Knapp 30 von ihnen blockierten den Haupteingang der Universität und es sollen volksverhetzende, anti-israelische Parolen zu hören gewesen sein. Die Polizei schritt schließlich ein und löste die Versammlung auf.

Uni-Proteste - Ein Trend aus den USA

Proteste an US-Elite-Unis - hier an der Yale University in New Haven | Bildquelle: ADRIAN MARTINEZ CHAVEZ/The NewYorkTimes/Redux/laif

Die Proteste in den USA hatten Mitte April an der renommierten Columbia University in New York begonnen und sich seitdem auf mindestens 30 weitere Universitäten im Land ausgeweitet. Die Demonstranten prangern zum einen die hohe Zahl von Toten im Gazastreifen an. Zum anderen fordern sie die Universitäten auf, Verbindungen nach Israel zu beenden. Immer wieder kam es auch zu antisemitischen Zwischenfällen.

Diese Hochschulproteste gegen den Krieg im Gazastreifen weiten sich gerade von den USA zunehmend auf Universitäten weltweit aus. In der französischen Hauptstadt Paris schritt am Freitag die Polizei gegen einen pro-palästinensischen Sitzstreik an der Elite-Hochschule Sciences Po ein. Proteste gab es auch in Mexiko und Australien.

Was fordern die Aktivisten?

WDR-Reporterin Susanna Zdrzalek hat mit einem der Aktivisten vor der Kölner Universität gesprochen. Es war jedoch zunächst nicht einfach miteinander ins Gespäch zu kommen. Obwohl es ein öffentlicher Protest ist, war niemand bereit, sein Gesicht vor der Kamera zu zeigen. Der Grund: Man habe Sorge, unter Antisemitismus-Verdacht zu geraten.

Im Gespräch mit Zdrzalek erklärt einer der Aktivisten, dass sie sich mit der Aktion dem "globalen Studentenprotest anschließen möchten". Ihre Forderungen: Waffenstillstand in Gaza und "ein Ende des Völkermordes". Deutschland habe aufgrund seiner Geschichte eine historische Verantwortung, die bedeuten würde, "dass wir die Nachfahren derjenigen Menschen, an denen wir Deutschen einen Holocaust verübt haben, dass wir sie von Menschenrechtsverletzungen abhalten müssen".

"Solidarität kann unserer Meinung nach niemals bedingungslos sein, sondern muss immer angeknüpft werden an die Einhaltung von Menschenrechten." Aktivist, Protestcamp Universität zu Köln

Bei den Protesten in Berlin war die Präsidentin der HU, Julia von Blumenthal, im Gespräch mit den Protestierenden. Von Blumenthal sagte der Deutschen Presse-Agentur, sie habe im Gespräch mit den Protestierenden deutlich gemacht, dass die Universität ein Ort kontroverser Diskussionen sei, die auf Basis der Grundwerte geführt würden. "Dazu gehört kein Platz für Antisemitismus, kein Platz für Rassismus und kein Platz für irgendeine andere Form der Diskriminierung." Es habe die Forderung im Raum gestanden, die Kontakte zu Israel abzubrechen, "etwas, was für mich vollkommen ausgeschlossen ist". 

Antisemitismusbeauftragter zeigt sich besorgt

Das Protest-Camp vor Deutschlands größter Präsenz-Uni, der Universität Köln, ist das erste dieser Art in Deutschland. In anderer Form gab es pro-palästinensische Proteste an deutschen Universitäten jedoch schon vorher. Bereits im November vergangenen Jahres gab es beispielsweise eine pro-palästinensische Demo an der Freien Universität Berlin, wie die "taz" berichtet. Und "ZDF heute" beschreibt zunehmenden Antisemitismus an deutschen Hochschulen.

Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter | Bildquelle: picture alliance/dpa

Die Proteste, die jetzt an den US-Universitäten gestartet sind, haben jedoch eine neue Dimension und sie weiten sich offenbar aus. Angesichts dieser Entwicklung befürchtet Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, auch hier in Deutschland verstärkt anti-israelische Aktionen. "Ich beobachte mit großer Sorge an den deutschen Hochschulen eine aggressive antiisraelische Stimmung, die auch antisemitisch motiviert ist", sagte Felix Klein der "Rheinischen Post" am Samstag.

"Wir haben zwar nicht die Dimensionen erreicht, die in den USA zu beklagen sind. Aber eine antisemitische Grundhaltung ist leider weitverbreitet und kann sehr schnell zu einer Eskalation führen." Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter Bundesregierung

Den Antisemitismusbeauftragten beunruhigt die aggressive anti-israelische Stimmung, die in Deutschland seiner Meinung nach immer mehr zunimmt und die durch die Uni-Proteste noch weiter bekräftigt wird. Er höre immer wieder "von völlig inakzeptablen Fällen, bei denen jüdische Studierende für das verantwortlich gemacht werden, was die israelische Armee tut".

Bildungsministerin: "Das Ausmaß ist unerträglich"

Bettina Stark-Watzinger, Bundesbildungsministerin | Bildquelle: WDR

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sieht bei antisemitischen Vorfällen die Universitäten in der Pflicht. Denn: "Das Ausmaß an Israel- und Judenhass an zahlreichen westlichen Universitäten ist unerträglich", warnte die FDP-Politikerin im Gespräch mit der "Rheinischen Post".

Stark-Watzinger fordert die Universitäten daher auf, konsequent gegen Antisemitismus vorzugehen. Universitäten sollten beispielsweise von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und Studierende in schweren Fällen exmatrikulieren.

"Die Motivation dahinter ist Antisemitismus"

Hanna Veiler, Präsidentin der jüdischen Studierendenunion | Bildquelle: WDR

Auch die Präsidentin der jüdischen Studierendenunion Hanna Veiler beobachtet die aktuelle Entwicklung in Deutschland genau. Das Vorgehen der pro-palästinensischen Gruppen macht ihr große Sorgen.

"Auch in Europa, auch in Deutschland werden Jüdische Studierende niedergebrüllt, auch in Deutschland sehen wir antisemitische Plakate, antisemitische Versammlungen am Campus. Deswegen dürfen wir auf keinen Fall mit dem Finger auf die USA zeigen, im Glauben, dass die Probleme nur da liegen. Auch hier in Deutschland ist der Antisemitismus am Campus ein massives Problem." Hanna Veiler, Präsidentin der jüdischen Studierendenunion

Sie sagt, dass man den israelischen Staat natürlich kritisieren könne, wie jeden anderen Staat auch. Jüdischen Studierenden könnten jedoch nicht offen und angstfrei studieren, weil sie sich an den Hochschulen mit Angriffen konfrontiert sähen. Laut Veiler hat das nichts mit Kritik an Israels Regierung zu tun, "die Motivation dahinter ist Antisemitismus".

Quellen:

  • Interview von WDR-Reporterin Susanna Zdrzalek mit Aktivist im Protestcamp in Köln
  • WDR-Interview mit Hanna Veiler, Präsidentin der jüdischen Studierendenunion
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Online Beitrag "taz"
  • Online Beitrag "zdfheute"